Als Argentinier muss man sich in seinem Leben einer entscheidenden Frage stellen:“Boca o River?“ Fast die gesamte Bevölkerung des Landes ist entweder ein Anhänger des Club Atlético Boca Juniors aus dem Stadtteil La Boca in Buenos Aires oder des Club Atlético River Plate, der seine Heimspiele im Stadtteil Núñez austrägt. Zwischen beiden Vereinen besteht eine extreme Rivalität. Der Gegensatz zwischen beiden Vereinen wird schon bei einem Blick auf die jeweiligen Stadtviertel deutlich. La Boca ist ein Arbeiter- und Emigrantenviertel, während Nuñez durch die Mittel- und Oberschicht geprägt ist. Die Boca-Fans bezeichnen die Anhänger von River nur als „Gallinas“ (Hühnchen), während umgekehrt die Boca-Anhänger als „Bosteros“ (Reinigungskräfte, die früher die Straßen von Pferdekot gereinigt haben) verunglimpft werden. Sportlich sind es auch diese beiden Vereine, die nicht nur die Fußballlandschaft Argentiniens, sondern ganz Südamerikas, prägen. National ist River Plate der Rekordmeister, während international Boca Juniors mit sechs Siegen bei der Copa Libertadores und drei Weltpokalen das Maß der Dinge ist.
Ich traf also im Mai diesen Jahres, etwa eine Woche nach dem Spiel in Santiago, in Buenos Aires ein. Eine Sache hatte mir der Guatemalteke, mit dem ich bei Colo-Colo war, mit auf den Weg gegeben:“Du musst dir La Bombonera angucken!“ La Bombonera, die Pralinenschachtel, ist das Stadion von Boca. Er hatte zuvor das Glück dem „superclásico“ gegen River beiwohnen zu können. Eine unglaubliche Stimmung, wie man sich vorstellen kann. Als ich in meinem Hostel in Buenos Aires ankam, sah ich es dann auch gleich: Boca Juniors – Racing Club – eine Tour, die vom Hostel organisiert wird. Da schlug ich sofort zu! Es wurde mir auch gleich gesagt, dass auch dieses Duell nicht ohne Brisanz ist. Zum einen kommt der Racing Club Avellaneda auch aus dem Großraum Buenos Aires und das Spiel gilt als Derby, zum anderen befand sich der Racing Club in arger Abstiegsgefahr und musste eigentlich gewinnen. Es zeichnete sich also wieder ein stimmungsvolles Spiel ab.
Am nächsten Tag wurden wir dann vom Hostel mit einem alten, klapprigen Bus abgeholt und nach La Boca gefahren. Wir wurden gleich gewarnt, dass es sich um eine äußerst gefährliche Gegend handelt und wir uns nicht von der Gruppe entfernen sollten. Ich stattete ein paar Tage später dem Stadtteil nochmal einen Besuch ab, um das Boca-Museum zu besuchen und es war in der Tat eine etwas mulmige Atmosphäre. Es ist aber nichts passiert. Wir mussten zunächst einige Kontrollen passieren, wo unter anderem stichprobenartig die Alkoholisierung überprüft wurde. Aber nach einiger Zeit ragte auf einmal La Bombonera aus dem Häusermeer hervor:

Die Touristentruppe nahm dann ihren Platz ein. Dieser befand sich unter dem Gästeblock. Dies erlaubte uns einen grandiosen Blick auf „La Doce“ („Die Zwölf“), den Fanblock von Boca. La Bombonera zeichnet sich durch exrem steile Ränge aus. Eine Seite besteht auch eher aus Balkonen, da sie komplett senkrecht ist. Wir saßen wir also direkt unter den Gästen, was sich unter anderem dadurch bemerkbar machte, dass ab und an allerlei Gegenstände von oben herabregneten, besonders wenn sich ein übermütiger Boca-Fan nach vorne hinauslehnte um einige Schmährufe loszuwerden. Wir hörten natürlich auch die Gesänge von Racing, die aber sofort von unserem Block mit entsprechendem Boca-Repertoire übertönt wurden. Die Stimmung war auch hier bereits vor dem Anpfiff bestens. Der Höhepunkt wurde erreicht, als La Doce ein großes Banner hisste. Die Aufschrift war:“Como no somos los unicos, decidimos ser los mejores.“ Das ist wohl zu übersetzen mit:“Da wir nicht die Einzigen sind, haben wir uns entschieden die Besten zu sein.“ Ein gesundes Selbstvertrauen.

Auch hier wurde auf das Auflaufen der Mannschaften „hingearbeitet“. Die heutige Formation ließ sich dabei leider lediglich als B-Elf bezeichnen. Boca hatte nämlich unter der Woche in der Copa Libertadores gegen Atlas aus Mexiko gespielt. Die großen Namen wurden daher geschont. Unter anderem auf Juan Román Riquelme, Martín Palermo und Rodrigo Palacio musste der Zuschauer also verzichten. Der Stimmung tat das aber keinen Abbruch:
Im Spiel musssten die „Xeneizes“, wie sich die Boca-Fans selbst nennen, zunächst einen stürmenden Racing Club erleben. Besonders der kleine Maximiliano Moralez spielte die Boca-Abwehr schwindlig. Nach 14 Minuten war es dann passiert: Der Chilene Reinaldo Navia köpft zum 0:1 ein. Die Rotation von Boca-Trainer Carlos Ischia drohte sich also zu rächen. In der ersten Hälfte bekam Boca keinen Fuß auf den Boden, der Racing Club konnte seine Chancen aber auch nicht nutzen und so ging es mit 0:1 in die Kabinen. Aber auch in der zweiten Hälfte tat sich Boca zunächst schwer. In der 66. Minute wurde dann Nachwuchsstürmer Ricardo Noir eingewechselt, was das Signal für die Schlussoffensive gab. In der 75. Minute gab es schließlich den Aufreger des Spiels: Der Ball wird in den Strafraum gehoben und Christian Chávez legt den Ball am Torwart vorbei – allerdings mit der Hand. Gabriel Paletta macht dann das 1:1. Das Tor zählt, Racing tobt vor Wut und La Bombonera vor Freude! Es folgt eine hektische Schlußphase mit jeder Menge Chancen für Boca und einer roten Karte (85.) für Racing. Es will aber kein Tor fallen. Dann die 4. Minute der Nachspielzeit:
Der Angriff läuft über die rechte Seite. Allen ist klar: Das ist die letzte Chance. Die Flanke fliegt über den Strafraum, die Zeit scheint stillzustehen – aber sie ist zu hoch. Alles vorbei? Oh nein, auf der anderen Seite des Strafraums kriegt Jungspund Noir den Ball direkt serviert. Er zieht auch sofort mit links ab! Und GOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOL!
Das langersehnte Tor zum 2:1. Doch noch der Sieg! La Bombonera feiert! Auf dem Spielfeld wird Noir von seinen Mitspielern durch das (eckige) Rund getragen. In unserem Block ist die Stimmung auch groß und der Racing Club wird ausgiebig verhöhnt. Unsere Kaffeefahrt begab sich dann langsam zurück in den Bus, wo das kulinarische Highlight des Tages wartete: Wurst und Bier!
Ey, macht mal wieder das Video startklar. Da kommt ein 404er.
Matthias